FULDA/HÜNFELD, 26.10.2018 - Wurzeln und Flügel – schon Goethe zählte diese Kombination zum Elementarsten, was Eltern ihren Kindern mitgeben sollten. Ein fester Halt fördert Tatkraft und Lebenstüchtigkeit, so könnte man es knapp zusammenfassen. Die Kenntnis über die eigene Herkunft ist besonders für Adoptivfamilien – Eltern und Kinder – ein mitunter belastendes Thema. Unterstützung verspricht der Infoabend am 30. Oktober, um 19 Uhr im Bonifatiuskloster Hünfeld – initiiert von Sozialpädagogin Ines George und Sozialarbeiterin Irmgard Plappert. Sie leiten die Adoptionsvermittlungsstelle der Kreise Fulda und Hersfeld-Rotenburg sowie der Stadt Fulda.
„Die Herkunftsgeschichte der Kinder – die richtigen Worte finden“ lautet das Thema des Abends. Was ist damit gemeint?
Ines George: Das Thema ist tatsächlich vielschichtig: Zum einen geht es um die Frage, wann und auf welche Weise die Adoptiveltern ihrem Kind nahebringen, dass es noch andere Eltern, andere familiäre Wurzeln hat. Zum anderen geht es generell darum, mit der Vorgeschichte des Kindes zu leben. Das Thema zieht sich wie ein roter Faden durchs Leben.
Gibt es denn tatsächlich einen richtigen Zeitpunkt, um das Kind darüber aufzuklären, dass es noch eine andere Mama hat?
Irmgard Plappert: Im Grunde kann man sagen: Je später man es tut, umso höher wird die Hürde.
Das Kind muss also nicht alt genug sein, um zu verstehen und auch nachfragen zu können?
George: Nein, wir sagen: Aufklärung beginnt auf dem Wickeltisch. Natürlich kann ein Kind die Dinge erst mit zweieinhalb, drei Jahren kognitiv erfassen. Aber es geht in der Zeit davor vor allem um die Eltern selbst. Sie müssen die Geschichte des Kindes annehmen und zum Beispiel damit klarkommen, dass sie die sozialen Eltern sind und nicht die leiblichen. Es fängt also damit an, dass zunächst die Eltern Worte finden, aussprechen und spüren, wie es sich anfühlt etwa zu sagen: „Du hast noch eine andere Mama.“
Plappert: Sie fragen sich vielleicht: „Soll ich sie Bauchmama nennen oder beim Vornamen?“. Wie ist es, wenn ich sage: „Deine schönen blauen Augen hast Du von Johanna.“ Oder „Du hast genauso schöne Haare wie Ramona.“ Fällt es mir schwer das auszusprechen? Die richtigen Worte zu finden, das beginnt bei den Eltern. Und je mehr sie das verinnerlichen, umso leichter wird es ihnen fallen, es auch ihrem Kind zu sagen.
Dennoch ist es für Adoptiveltern sicher nicht leicht. Wie ist Ihre Erfahrung?
George: Gerade bei Stiefkindadoptionen, wenn der Stiefvater beispielsweise schon bei der Geburt des Kindes dabei war, ist es verlockend, diese Wahrheit immer wieder zu verschieben. Aber dann kommt oft nie der richtige Zeitpunkt – und die Botschaft wird immer größer. Je früher man anfängt, umso leichter ist es, weil man erst einmal nur sagen muss: „Da gibt es noch jemanden.“ Kinder können im Kleinkindalter solche Informationen sehr gut in ihr Spiel einbeziehen, verarbeiten und damit wachsen. Diese Leichtigkeit der frühkindlichen Phase nimmt mit zunehmendem Alter ab.
Plappert: Je später ein Kind erfährt, dass es leibliche Eltern hat, umso größer ist auch die Gefahr, dass es das als Vertrauensbruch empfindet. Darüber Bescheid wussten vielleicht Oma und Opa, Freunde, Nachbarn, Lehrer – nur man selbst nicht. Das ist sehr verletzend und führt in manchen Fällen sogar bis zum Bruch mit den Adoptiveltern.
Ist es nicht – im Gegensatz zu früher – ohnehin so, dass der Kontakt zu den leiblichen Eltern erhalten und gefördert werden soll?
Plappert: Es ist mittlerweile das Bestreben aller Beteiligten und Experten, dass sich leibliche und Adoptiveltern begegnen und wirklich kennenlernen sollten. Wenn das möglich ist, ist das ein wichtiger Schritte zur Biografiearbeit.
Was steckt hinter diesem Begriff?
Plappert: Es ist sehr wichtig, die frühen Erfahrungen und Ereignisse aus dem Leben des Kindes und mehr über die Herkunftsfamilie zu erfahren, um mit dem Kind dessen Wurzeln kennenzulernen und zu bewahren. Dieser Prozess ermöglicht es Menschen, ihre Geschichten zu verstehen, ihre Gegenwart bewusster zu erleben und ihre Zukunft zielsicherer zu planen.
George: Die Verknüpfung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist eine hervorragende Methode für Kinder, die nicht in ihrer leiblichen Familie aufwachsen, ihre Lebens- und Familiensituation besser zu verstehen. Was erinnert wird, hat einen festen Ort, Zeit und ein Ereignis, das dem Kind zur Verfügung steht, es geistert nicht im Kind umher.
Ist das auch für leibliche Eltern hilfreich?
Plappert: Absolut. Die Entscheidung, ein Kind zur Adoption freizugeben, ist immer schwer. Wir erleben, dass durch die Begegnung mit den Adoptiveltern, die leiblichen Eltern das Thema besser loslassen können. Sie fühlen sich wertgeschätzt, wissen, dass es ihrem Kind gutgeht und dass sie in gewissem Maß auch an dessen Leben teilhaben können.
George: Oft empfinden beide Seiten dadurch eine große Dankbarkeit, die sich wiederum auf das Kind überträgt. Und das trägt immens dazu dabei, dass das Kind nicht in einen Loyalitätskonflikt gerät.
Wird es in der Veranstaltung mit Referentin Herta Schindler dazu auch Ratschläge geben?
George: Ganz gewiss, zumal es hilfreiche Anregungen zum Thema Biografiearbeit geben wird. Dabei geht es ja um das Erarbeiten und Besprechen von Lebensereignissen. Es ist möglich, diese sichtbar zu machen – durch ein Lebensbuch, ein Fotobuch, einen Brief, ein selbstgemaltes Bild, eine Audioaufnahme, eine Landkarte, die Sammlung von Erinnerungsstücken und Urkunden.
Themenabend
Der Themenabend „Die Herkunftsgeschichte der Kinder – die richtigen Worte finden“ mit der Referentin Herta Schindler (Kassel) findet am Dienstag, 30. Oktober, um 19 Uhr im Hünfelder Bonifatiuskloster in der Klosterstraße 5 statt. Schindler ist systemische Therapeutin und Lehrtherapeutin mit dem Schwerpunkt Biografiearbeit.
Zur besseren Planung wird um Anmeldung gebeten unter Telefon (0661) 6006-9447 oder per Mail unter <link>adoption@landkreis-fulda.de.
Hintergrund
Die Gemeinsame Adoptionsvermittlungsstelle der Jugendämter der Landkreise Fulda, Hersfeld-Rotenburg und der Stadt Fulda hat ihren Sitz in der Leipziger Straße 6 in Fulda. Geöffnet ist das Büro montags bis freitags von 8.30 bis 13 Uhr und nach Vereinbarung. Ines George und Irmgard Plappert beraten Menschen, die sich mit dem Gedanken tragen, ihr Kind zur Adoption freizugeben. Sie bereiten Paare auf die Aufnahme eines Kindes vor, begleiten Adoptivkinder und ihre Familien und unterstützen sie bei der Suche nach ihrer Herkunft. Außerdem beraten sie Menschen, die das Kind ihres Partners/ihrer Partnerin adoptieren möchten.
Die Beratung ist vertraulich und auf Wunsch anonym.
Weiter Infos im Internet unter adoption-osthessen.de.